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Frühere oder spätere Einschulung – mit Fragen, die bei der Entscheidung helfen können
Bei nicht wenigen Eltern kommt früher oder später mal die Frage auf, ob man das Kind eventuell etwas früher einschulen lassen sollte. Auch wir haben uns diese Frage gestellt. Einige Kinder interessieren sich im Alter zwischen 3 und 6 Jahren für Buchstaben und Zahlen. Da Kinder ja sehr wissbegierig sind, kann es sein, dass sie in diesen Jahren auch einige Dinge lernen, “die man eigentlich erst in der Schule lernt”. Gerade wenn sie schon ältere Geschwister haben oder es ihnen von Älteren im Kindergarten gezeigt wird.
Aber…
Schule ist so viel mehr als Lesen, Schreiben oder Rechnen!
Kinder werden auf eine sehr umfassende Art und Weise gefordert in der Schule. Um nur ein paar Aspekte zu nennen: sie müssen in der Lage sein, sich in eine Gemeinschaft einzufinden, Anweisungen zu verstehen und auszuführen (Heft X rausholen und mit einem grünen Stift eine Aufgabe lösen…), die Aufmerksamkeit über längere Zeit zu halten, auch mal etwas zu machen, was gerade nicht so großen Spaß macht, anderen zuhören zu können, sich ausdrücken zu können… und noch viel mehr.
Leider habe ich schon öfter im Bekanntenkreis beobachtet, dass Kinder, die laut Kindergarten so weit waren, früher eingeschult wurden und es dann in der Schule nicht so leicht hatten wie gedacht. Auch wenn man sich unter Erwachsenen umhört, dann hört man häufig, dass die vorzeitige Einschulung bei vielen zumindest einige Schuljahre lang zu viel Stress geführt hat.
Das kann verschiedene Gründe haben: Emotional, weil sie sich überfordert fühlten von den plötzlich auf sie einprasselnden Anforderungen oder sich nicht so gut einfinden konnten. Sozial, weil der Umgangston unter den Kindern in der Schule oft ein anderer ist als im Kindergarten und die Kinder natürlich viel mehr Streitigkeiten unter sich austragen als im Kindergarten (und Kinder können leider ganz schön fies sein). Körperlich, weil sie nicht gut mit den etwas älteren Mitschülern mithalten konnten. Kognitiv, weil sie zwar in einzelnen Bereichen gut waren (z.B. schon lesen konnten…), es ihnen in anderen Bereichen aber doch nicht so leicht fiel wie vorher vermutet. Motivational, weil es ihnen schwer fiel oder nicht gelang, genug eigene Motivation aufzubringen, um auch ungeliebte Aufgaben zu erledigen…
Weitere Gründe liegen im Altersunterschied zu den Klassenkameraden, der in der Pubertät wichtiger wird. Denn irgendwann kommt das Alter, in dem die anderen etwas schon dürfen, was das jüngere Kind noch nicht darf. Gerade in der Pubertät kann es schwierig sein, den Anschluss zu den anderen zu behalten, wenn sie körperlich, emotional und sozial schon in einer ganz anderen Phase sind (allerdings gibt es natürlich auch da bei Gleichaltrigen Unterschiede, so dass es in Bezug auf die Reifung sowieso eine Streuung unter den Kindern gibt).
Ich habe mir ein paar Fragen ausgedacht, die verschiedene Aspekte abdecken und die man schon für Kindergartenkinder abschätzen kann (ob das Kind eher früher oder später in die Pubertät kommen wird, können wir nun schlicht nicht beantworten).
Kannst Du folgende Fragen (am besten ohne Zweifel) bejahen?
Darauf würde ich bei der Überlegung zur frühzeitigen Einschulung schauen:
– Geht das Kind offen und begeistert in neue Situationen und findet sich schnell ein (neuer Verein…)?
– Kann es sich über längere Zeit konzentrieren (ca. 30 Minuten, beim Medienkonsum oder geliebten Hobbies gilt hier natürlich nicht!)? Oder lässt es sich schnell ablenken (hier gilt natürlich “NEIN” als gewünschte Antwort)?
– Ist es motorisch eher unruhig, so das Stillsitzen zur Qual werden könnte oder das Kind in der Schule voraussichtlich öfter negativ auffallen könnte deswegen? Ein Jahr reifer fällt es einem Kind leichter, ruhiger zu bleiben. Ständig als “Zappelphilipp” aufzufallen kann sich negativ auswirken auf das Bilder der Lehrer vom Kind, auf das eigene Selbstbild und auf die Beziehung zu anderen Kindern (wenn die davon genervt sind).
– Kann es im Kontakt mit Freunden und Erwachsenen seine Meinung vertreten und auch vermitteln (zur eigenen Meinung stehen, aber auch Kompromisse finden)?
– Steckt das Kind es eher gut weg, wenn es geärgert oder angegriffen wird? Also nimmt es sowas eher nur kurz mit oder knabbert es länger daran? Leider können gerade Mädchen unterschwellig sehr fies sein was das angeht, das hatte ich damals unterschätzt und mit sowas geht ein 1 Jahr reiferes Kind natürlich anders um. Jungs greifen sich in dem Alter bei Streits oft eher körperlich an.
– Kann das Kind seine Gefühle in vielen Situationen selbst regulieren oder benötigt es noch öfter Unterstützung bei der Gefühlsregulation (und agiert die eigenen Gefühle nicht impulsiv womöglich noch an anderen aus, was wiederum zu Problemen mit Mitschülern und Lehrpersonen führen könnte)?
– Würde es an seine Sachen denken (Turnbeutel, Jacke… das kann einen nicht zu unterschätzenden Stressfaktor ausmachen)?
– Kann es motorisch mit den anderen Vorschulkindern mithalten?
– Hat es Frustrationstoleranz? Also kann es eine ungeliebte Aufgabe eine Weile weiter durchhalten, auch wenn es keine Lust darauf hat?
– Gibt es nicht so schnell auf, wenn es etwas erst nicht schafft oder es länger dauert, bis es etwas kann? (Oder passiert es, dass es sich als “Versager” betrachtet, wenn es etwas NOCH nicht schafft? Bei dieser zweiten Frage wäre natürlich ein “NEIN” die gewünschte Antwort ;-))
– Kommt es gut in größeren Gruppen zurecht ohne dass es ihm zu schnell zu laut oder zu wuselig wird (hier hilft es, wenn man die voraussichtliche Klassengröße etwas im Hinterkopf hat, es macht natürlich einen großen Unterschied, ob da 12 oder fast 30 Schüler sitzen).
Was sagen die Fragen aus?
Das ist keine Liste was ein Kind können muss zur Einschulung. Die meisten Kinder können nicht alles davon.
Aber ich denke, wenn man überlegt die recht unbeschwerte Kindergartenzeit um 1 Jahr zu kürzen, dann sollte man sich recht sicher sein, dass die meisten Aspekte entspannt laufen werden und es nicht mehrere Bereiche gibt, die dem Kind viel abverlangen. Denn gibt es mehrere solcher Bereiche, die dem Kind viel abverlangen, dann nagt das am kindlichen Selbstbewusstsein und kann sich auch negativ auf die Atmosphäre zu Hause auswirken und den Stresspegel der Familie erhöhen (wenn oft Sachen vergessen werden, wenn die Eltern viel motivieren müssen damit Hausaufgaben gemacht und durchgehalten werden…).

Die Freunde sind bei der Frage zum Einschulungszeitpunkt kein wirkliches Argument, weil sich Freundschaften sowieso nochmal neu finden in der Schule und weil sich gute Freundschaften auch außerhalb der Schule pflegen lassen.
Leider habe ich es in letzter Zeit häufiger gehört, dass einige Kindergärten den Kindern eher eine frühere Einschulung empfehlen wegen der frei werdenden Plätze. Diesen Aspekt würde ich im Hinterkopf halten und kritisch schauen, ob das in eurem Kindergarten der Fall sein könnte.
Was sagen wissenschaftliche Studien dazu?
Bei Betrachtungen des Einschulungsalters wurde z.B. gefunden, dass Kinder, die jünger eingeschult wurden seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten und es häufiger vorkommt, dass sie eine Klasse wiederholen als älter eingeschulte Kinder. *
Außerdem zeigt eine großangelegte Studie über mehrere Länder hinweg, dass die Wahrscheinlichkeit für jüngere Kinder einer Klasse etwas höher ist, Gewalt oder Mobbing in der Schule zu erleben. **
Glücklicherweise gab es in den letzten Jahren ein Zurückrudern mehrerer Bundesländer bezüglich des Einschulungsalters. In einigen Bundesländern dürfen die Eltern von Kindern, die im Sommer 6 Jahre alt werden, selbst entscheiden, ob sie ihr Kind in dem Jahr oder ein Jahr später zur Schule schicken.
Meine persönliche Meinung
Das eine Jahr Kind sein bekommen sie nicht wieder zurück. Daher würde für mich eine frühere Einschulung nur in Frage kommen, wenn es im Kindergarten absolut nicht mehr geht. Auch da würde ich erstmal schauen, ob es vielleicht andere Lösungen gibt (ein Musikinstrument erlernen, Hobbies zum Ausgleich, die Interessen und Wissbegierde ausleben dürfen). Eine Klasse überspringen kann das Kind in der Schule immer noch, wenn sich herausstellt, dass das sinnvoll und hilfreich wäre.
Allein die kognitive Leistung ist meiner Meinung nach kein Argument. Eine unserer Töchter konnte auch jahrelang schon lesen im Kindergarten und gerade das letzte Jahr dort (ein 3/4 Jahr als 6-Jährige) hat ihr so viel Selbstbewusstsein und innere Stärke gegeben, die ich für viel wichtiger halte für ihr Leben als einen früheren Schulabschluss. Und es ist einfach für alle Beteiligten schön, wenn Schule fürs Kind dann ein absoluter Selbstläufer wird (oder zumindest leichter als es ein Jahr zuvor gewesen wäre), statt viel Energie zu kosten. Einerseits von den schulischen Anforderungen her, aber eben auch emotional und sozial. Denn das kostet die Kinder so viele Ressourcen wie ich früher, vor unserem ersten Schulkind, nie gedacht hätte.
Ich wünsch euch, dass sich eure Entscheidung im Nachhinein als die für euch und euer Kind perfekte Entscheidung herausstellen wird!
Alles Liebe!
Daniela
Quellen:
*Hagemeister, V. (2009). Statistische Ergebnisse zum Einschulungsalter
und zu Teilaspekten des Schulerfolgs hergeleitet aus PISA4Daten [Einzelbeitrag]. In: bildungsforschung, Jahrgang 6, Ausgabe 2
** Mühlenweg, Andrea (2010), Young and Innocent – International evidence on age effects within grades on victimization in elementary school, Economics Letters 109(3), 157-160.
Ich möchte hier mal Mut machen für eine frühere Einschulung. Man kann ein Kind durchaus auch unterfordern. Ich hätte das nie gedacht. Unser Kind ist so viel glücklicher und entspannter. Ob das in einigen Jahren noch die richtige Entscheidung war, wissen wir nicht, momentan passt es einfach. Ständige Unterforderung und sich nach unten anpassen, können enorm stressen. Ich wäre sehr vorsichtig mit generellen Aussagen und würde das sehr individuell entscheiden.
Danke für Deine Perspektive liebe Anna!
Das ist super!
Definitiv gibt es auch unterforderte Kinder, denen es gut tut früher eingeschult zu werden. Prozentual gesehen sind es laut Studien wesentlich weniger Kinder als diejenigen, denen das Warten doch noch gut getan hätte, daher der Rat eher in diese Richtung zu tendieren.
Ich bin immer für eine individuelle Entscheidung, deswegen führe ich ja so viele Faktoren auf, damit man für das eigene Kind besser abschätzen kann ob die Entscheidung eindeutig ausfällt oder eher wackelig ist. Zudem hatte ich ja auch geschrieben, dass mein Kriterium wäre, wenn es im Kindergarten nicht mehr geht, das Kind dort also nicht glücklich ist und das scheint bei euch ja dann der Fall gewesen zu sein, wenn es jetzt viel glücklicher und entspannter ist.
Die Studien spiegeln ja nur die Wahrscheinlichkeiten wieder. Natürlich gibt es einzelne Kinder, für die eine frühere Einschulung ein Gewinn ist. Ich wünsche Dir, dass es bei eurem Kind so ist, bisher klingt es ja sehr gut!
Meiner Erfahrung nach kann man es bei den meisten Kindern so in etwa beim Übergang auf die weiterführende Schule bzw. nach dem ersten Jahr in der weiterführenden Schule recht gut sehen ob es die richtige Entscheidung war.
Alles Liebe für Dich und euch!
Daniela